Heute ist es auf den Tag genau 18 Monate her, dass ich ins Hospiz „Haus Zuversicht“ eingezogen bin. Niemand, erst recht nicht ich (oder der Arzt, der meine Diagnose erstellt hat), hätte gedacht, dass es bei mir so lange dauert mit dem Ableben. Im Internet bin ich auf eine Seite gestoßen, die schon überholt war. Diagnose ‘ALS’ in 2009, knappe 8 Monate danach Exitus. Beneidenswert.
Für neu Mitlesende: Mich hat eine sehr selten auftretende, perfide verlaufende, tödliche Krankheit erwischt. Bis zum Erhalt meiner Diagnose hatte ich davon noch nie gehört: „ALS“, Amyotrophe Lateral Sklerose.
Eine kurze, nicht-qualifizierte und subjektive Info dazu: garantiert tödlich, nicht ansteckend, unsichtbar, unheilbar und Ursachen unbekannt. Stell’ Dir vor, bei Deinem Auto unterbricht jemand die Verbindung zur Lichtmaschine. Erstmal merkst Du gar nichts und fährst mit Batteriestrom weiter. Bis die Reserven erschöpft sind und nichts mehr geht. Bei ALS ist’s so ähnlich: die Kommunikation zu den Muskeln wird unterbrochen, eine gezielte und erfolgreiche Ansteuerung wird zunehmend unmöglich, bis gar keine Bewegungen mehr möglich sind, bis auf den Herzmuskel und die der Augen. Solange macht man weiter, als wäre nichts - bis die ersten Ausfälle sich nachdrücklich bemerkbar machen. Bei mir war es das linke Bein, der linke Arm und die Aussprache (die Zungenmuskeln werden auch nicht verschont!).
Jedenfalls hatte ich in den vergangenen 2 Jahren reichlich Gelegenheit, die „andere Seite“ kennenzulernen. In Zeitraffer lernte ich verschiedene Hilfsmittel, hilfreiche und freundliche Menschen, Dienstleistungen sowie die unvermeidlich dazugehörende Bürokratie kennen.
Ich war völlig verzweifelt als ich herkam. Jetzt kann ich nur müde drüber lächeln. Nicht, dass es hier besser geworden wäre und ich lieber hier wäre als vor anderthalb Jahren. Oder dass es mir besser ginge. Nein, beileibe nicht! Mir fehlt (u.a.) Dolby Surround Sound zu Filmen. Aber irgendwie ist es nicht mehr so einschneidend, es bleibt an der Oberfläche. Vielleicht habe ich jetzt ein dickeres Fell, aber in jedem Fall ist alles stark relativ und hängt extrem vom Standpunkt ab. Wäre ich heute so klapprig und schwach wie bei meinem „Einzug“, würde ich tanzenderweise eine Grillparty organisieren, dafür einkaufen, Cocktails mixen und grillen. Aber leider hat die Krankheit bei mir genau den prognostizierten Verlauf genommen: Muskelkraft nahe null, ich kann kaum noch stehen, mich nicht mehr aufrichten oder den Kopf gerade halten. Wenn ich esse, erinnern meine Kopfbewegungen an Krokodile; die können auch nicht vernünftig kauen.
Gestern bei der Krankengymnastik musste meine Krankengymnastin erneut stärker unterstützen. Lag das Verhältnis „bewegen-zu-bewegt-werden“ zu Beginn noch bei respektablen 40:60, sind wir mittlerweile bei 5:95…
Ich glaube, der Trick besteht darin, sich auf das zu konzentrieren, was man (noch) kann und daraus Kraft zu schöpfen, statt auf das, was man nicht (mehr) kann. Es ist definitiv alles eine Frage der Sichtweise und der Einstellung! Vor anderthalb Jahren hielt ich mich für klapprig, hilfsbedürftig und behindert, das Glas war halbleer, nicht halbvoll.
Heute wünschte ich mir, so „schwach“ zu sein - eben alles eine Frage des Standpunkts…
Einen sehr guten TV-Spot zu ALS („motor neurone disease“) habe ich auf den Seiten eines Leidensgenossen gesehen. Etwas drastisch, FSK12 und „shocking“, aber wie sagt man doch so treffend „ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“. Ich mag ihn jedenfalls, erklärt er doch besser als jeder Leidensbericht die Gefühle im Verlauf der Mutation hin zum Pflegefall…
30.7.2010 bei 16:45
Hallo Tono,
wir kennen uns von einem Küchenaufbau in Wolbeck
bei einer lieben gemeinsamen Freudin.
Ich habe von ihr erfahren, was los ist.
Heute wie damals mag ich Deine unglaubliche Art
mit den Dingen des Lebens um zu gehen.
Ich habe die Seite von Sandra Schadek gelesen um zu
begreifen.
Ich schicke Dir ganz Liebe Grüße aus Münster von mir,
und meiner Tochter Celine.
Bleib so wie Du bist, Deine Worte helfen.
Um in der Werbewelt zu sprechen:
” i like zynismus!”